ÜBER DIE WICHTIGKEIT DER KLEINEN GEBURT UND WIE BILDER HELFEN KÖNNEN, ZU VERSTEHEN.

Triggerwarnung:
In diesem Beitrag geht es um die kleine Geburt als Alternative zur Ausschabung und um die Sternenkinderfotografie.

Ich möchte schwangere Menschen über die zusätzliche Option der „kleinen Geburt“ bei einer sogenannten „missed abortion“ informieren, damit sie die freie Wahl haben, welcher der möglichen Wege letztlich für sie der beste ist.

Ich bedanke mich aus tiefstem Herzen bei der Mama, die mich mit der Freigabe dieser Bilder und ihrer Geschichte dabei unterstützt, die kleine Geburt bekannter zu machen und generell dazu beizutragen, dass viel mehr über dieses wichtige Thema gesprochen wird.


Es war im Sommer, da erhielt ich eine äußerst nette Anfrage für eine Geburtsreportage für den kommenden März. Die Mama ist Hebamme und wollte ihre zweite Hausgeburt diesmal gerne in Bildern festhalten. Ich hab mich total über die Nachricht gefreut und verabredete mich mit den Eltern für das erste Kennenlerngespräch. Die Mama würde zu dem Zeitpunkt in der 11. SSW sein.

„Unser Termin hat sich leider erledigt.“

Unser Treffen stand kurz bevor, als eine Nachricht auf meinem Handy aufploppte „Hallo Jenny, unser Termin hat sich leider erledigt. LG“. Mein Magen zog sich schlagartig zusammen. Ich starrte weiter auf den Bildschirm. Von jetzt auf gleich ist alles anders. Ich suchte nach den richtigen Worten. Es tat mir von Herzen leid, dass sie ihr Baby hat gehen lassen müssen. Obwohl wir uns nicht gut kannten, würde ich ihr beim Weinen, Reden und Schweigen jederzeit beistehen. Genau das habe ich ihr geschrieben.

Die Mama hatte sich dazu entschieden, ihrem Körper zu vertrauen.

Es vergingen ein paar Tage, als ich eine weitere Nachricht von ihr erhielt. Die Mama hatte sich gegen eine OP ausgesprochen. „Ich hatte das Gefühl, ich muss mal eine Blutung sehen um verstehen zu können, was da passiert und um auch sicher zu gehen, dass mein Körper das auch verstanden hat, was da los ist.“ Sie entschied sich, ihrem Körper zu vertrauen und mochte gerne eine kleine Geburt* zuhause erleben. Sie fragte mich, ob ich jemals ein so kleines Wesen fotografiert hatte und ob ich ihr dabei helfen könnte, Erinnerungen an ihr Baby zu schaffen.

Das jüngste Sternenkind, das ich bisher fotografieren durfte, war in der 15. SSW – aber für mich war klar, dass ich unterstützen möchte, wo ich kann. Wir sprachen über die Wassermethode**,  was man dafür benötigen würde und dann warteten wir ab.

Es vergingen sechs Wochen, bis ihr Körper entschied, dass es jetzt an der Zeit war, das Baby loszulassen.

Ich klingle einen Tag nach Ankunft des Babys an ihrer Haustür und werde ganz herzlich begrüßt. Wir unterhalten uns erst ein wenig, sprechen über die Kindergartenbilder, die ich neulich von ihrem großen Kind machen durfte. Wir finden einen schönen Zugang zueinander.

Sie erzählt mir, dass sie am Morgen vor dem Arztbesuch –der ihr den fehlenden Herzschlag ihres Babies bestätigte– totale Panik verspürte. Sie hatte offenbar gespürt, dass etwas nicht in Ordnung war. „Laut Ultraschall war mein Kind 3 cm groß und eben erst eingeschlafen.“

„In diesen Momenten ist deine Meinung
–dein Vorhaben, in deine eigene körperliche Kompetenz zu vertrauen–
so fragil.“

„Und dann wird man so wenig bis kaum über Alternativen zur Kürettage*** aufgeklärt,“ kritisiert die Mama. „Alles geht so schnell. Und entscheidet man sich für eine kleine Geburt, wird einem enorm Angst gemacht mit den Risiken. Die stehen plötzlich so im Vordergrund. Aber warum soll mein Körper das nicht selbst regeln können? In diesen Momenten ist deine Meinung –dein Vorhaben, in deine eigene körperliche Kompetenz zu vertrauen – so fragil. Es steht und fällt mit deinem Umfeld.“ Und ihr Umfeld, sagt die Mama, war zum Glück ganz wundervoll. Sie wurde von ihrem Mann, Freundinnen und Hebammen aus dem Geburtshaus Erlangen empathisch unterstützt und begleitet. Ihr Weg und ihre Entscheidungen wurden bedingungslos mitgetragen.

Sie erzählt von den Tagen, an dem ihr das Warten auf die Geburt so schwer fiel und sie kurz davor war, zu intervenieren (medikamentöse Einleitung). Davon, wie enorm wichtig die bestärkenden Worte von anderen Hebammen für sie an diesen und allen anderen Tagen waren. Gleichzeitig wusste sie: „Alle standen hinter mir. Aber den Weg auf diesen Berg –zu Fuß– kann niemand für mich gehen. Ich wusste jedoch nicht, ob ich das kann. Gleichzeitig war es möglich –und völlig legitim– jederzeit in die Seilbahn nebenan zu wechseln. Das war entscheidend.“

„Ich habe das gebraucht, um zu verstehen.“

Die kleine Geburt erlebte sie als ein so bedeutungsvolles und bestärkendes Element in diesem gesamten Verabschiedungsprozess. Es begann mit einer Blutung, die vergleichbar war mit einem frischen Wochenfluss. Sie hatte spürbare –aber tolerierbare– Wehen, wechselte in unterschiedliche Positionen und durfte in vertrauter Zusammenarbeit mit ihrem Körper das Baby in einer intakten Fruchtblase zur Welt bringen. „Es war so wichtig für mich zu sehen: Da war was – mein Baby! Ich darf trauern. Ich habe das gebraucht, um zu verstehen.“

Wir sind soweit. Gemeinsam begeben wir uns mit der intakten Fruchtblase und der noch kleinen Plazenta vor das große Fenster im Wohnzimmer. Ich habe Blumen mitgebracht. Damit schmücken wir die schöne Holzschatulle, die die Mama vorbereitet hat. Mit einem Kissen und einem Deckchen, das sie selbst bestickt hat. Dort liegt auch schon die Schere, mit der sie damals nach der Geburt ihres ersten Kindes die Nabelschnur durchtrennten. Ich nehme dieses Detail auf und die Mama wird sich Tage später für diese Aufnahme von Herzen bedanken.

Intakte Fruchtblase mit Embryo in der 11. Schwangerschaftswoche nach einer kleinen Geburt

Sie öffnet behutsam die Fruchtblase und entdeckt und bewundert das winzige Wesen. Sie bettet es auf das Kissen. Wir sind erstaunt über dieses kleine Menschlein. Man erkennt Fingerchen, Füßchen und sogar Zehen. Ich bin still. Demut stellt sich ein. Die Mama nimmt sich die Zeit, ihr Baby zu betrachten. Ich ziehe mich zurück und verabschiede mich bald darauf.

„Ein Bild, auf dem ich gemeinsam mit meinem Baby zu sehen bin. Das ist jetzt so unglaublich wertvoll für mich.“

In einem langen Telefonat –ein paar Tage später– erzählt mir die Mama noch, wie sie ihr Baby in einer kleinen Zeremonie unter einem extra gepflanzten Strauch im Garten beerdigten. Wir sprechen über den Weg, den sie für sich und ihr Baby gewählt hat und wie wichtig jeder einzelne Schritt davon für ihren Trauerprozess ist. Körper und Seele brauchen ihre Zeit. Auch sprechen wir über die Wichtigkeit der Bilder für sie: „Ich habe nicht bemerkt, dass Du auch ein Bild von mir gemacht hast – ein so bewegendes Bild. Ein Bild, auf dem ich gemeinsam mit meinem Baby zu sehen bin. Das ist jetzt so unglaublich wertvoll für mich.“

Wir reagieren nun erst recht mit Unverständnis auf Aussagen, die den frühen Verlust eines Babys in der 11. SSW herunterspielen wollen – haben wir doch beide dieses kleine Wesen gesehen. Ein Wunder, was unser Körper erschafft und leistet.


„Ich habe durch die kleine Geburt ein sehr tiefes Vertrauen in meinen Körper zurückgewonnen.”

Ich bin ganz beseelt, wenn ich daran denke, dass die Mama diesen Weg gewählt hat, der für sie genau richtig und wichtig war und ihr gut getan hat. Dass sie für sich eingestanden ist und an ihren Körper geglaubt hat. Und dass sie dabei so wertvolle Unterstützung von anderen erfahrenen Frauen erhalten hat. „Ich habe durch die kleine Geburt ein sehr tiefes Vertrauen in meinen Körper zurückgewonnen. Mein Körper hat das einfach alles selbst gemacht.“

Wir haben als Gesellschaft wenig Platz und Toleranz für Tod und Trauer. Erst recht bei Verlusten in den frühen Schwangerschaftswochen. Der Drang, den „Normalzustand" so schnell wie möglich wiederherzustellen, ist häufig groß und es wird rasch die Ausschabung empfohlen. Spüre in dich hinein, ob dies der richtige Weg für dich ist und nimm dir die Zeit, die Du brauchst, um dich zu verabschieden und um eine klare Entscheidung treffen zu können.

An dieser Stelle betone ich als ehrenamtliche Sternenkind-Fotografin noch, dass das Dokumentieren eures Abschieds nicht pietätlos ist! Wenn euch die Bilder helfen, Erinnerungen zu schaffen oder zu verstehen, dann ist es absolut legitim, euer Baby oder die Bestattungszeremonie in Bildern festzuhalten.

Letztendlich geht es um die Selbstbestimmung.

Egal ob man abwartet, medikamentös nachhilft oder sich für eine OP entscheidet. Jede Person mit Uterus sollte die Zeit und die Unterstützung bekommen, um die für sie richtige Entscheidung treffen zu können.

Falls ihr mehr über das Thema lesen möchtet, schaut euch folgende wertvolle Beiträge dazu an:

Kareen Dannhauer – Eine kleine Geburt. Vom Umgang mit dem Unfassbaren.

Isabell Steinert – Im Gespräch mit Sternenkind-Eltern

Wenn Du eine:n Sternenkindfotograf:in benötigst klicke hier

 

*Eine sogenannte kleine Geburt kommt nach einigen Tagen oder sogar Wochen nach dem Tod des Embryos in Gang. Sie geht zumeist mit Wehenschmerzen einher. Durch die Wartezeit und die Geburtsschmerzen ist die kleine Geburt vermeintlich psychisch anstrengender, sorgt jedoch vielfach auch für eine bessere Verarbeitung des Geschehenen und eine schnellere Heilung. Auch ein Abschied von dem Baby ist eher möglich.

**Die Wassermethode ist eine effektive Möglichkeit, Sternenkinder über Stunden zu kühlen. Dazu werden diese in ein geeignetes Gefäß mit kaltem Wasser gelegt.

***Unter einer Kürettage versteht man die Ausschabung der Gebärmutterschleimhaut mit einem speziellen Instrument (Kürette). Bei diesem Eingriff (unter Vollnarkose) erfolgt der Zugang über die Scheide.


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Zwei meiner bedeutsamsten Bilder aus 2021 und die Geschichte dahinter